Facharbeit Biologie: Rolle des Beweises
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"Es gibt keinen Beweis dafür, dass .. der Mensch sich aus Tieren 'entwickelt hat "

Von Markus Günther

Am Anfang war der Affe. Er saß links im Bild, ein fröhlicher Schimpanse war es, und rechts, da saß ein grüblerischer Mensch. Und zwischen dem Affen und dem Menschen, da war ein Pfeil, die Spitze auf den Menschen gerichtet, und über dem Pfeil ein Fragezeichen. So begann Caroline Crocker ihre Vorlesung zur "Einführung in die Biologie", Lehrveranstaltung 101 an der George-Mason-Universität, unweit der amerikanischen Hauptstadt im Bundesstaat Virginia. Es brauchte nur wenige gedankliche Sprünge, bis auch der letzte Student im Hörsaal den Schimpansen, den Menschen, den Pfeil und das Fragezeichen zur einzig logischen Frage verknüpft hatte: Stammt der Mensch vom Affen ab? Ja, klar, sagten die Studenten, die sich über die dumme Frage wunderten. Das war am An.fang der Vorlesung. Bis zum Ende der ersten Stunde war die schöne, heile Welt der Studenten schon gründlich durcheinander gewirbelt, denn nun hatten sie von Caroline Crocker etwas vollkommen Neues gelernt: Nein, Irrturn, der Mensch stammt nicht vom Affen ab. Die meisten Studenten fanden das sogar überzeugend. Die Universitätsleitung schickte Caroline Crocker allerdings umgehend die Kündigung. Das, worum es hier geht, nennt man seit einiger Zeit die "Evolutionsdebatte". Sie spielt in den USA. Dort kann man neuerdings für, aber auch gegen die Evolution sein. Wie das geht, ist schwer zu verstehen. Die Geschichte wäre so viel leichter zu erzählen, wenn es nicht Leute wie Caroline Crocker geben würde. Ohne sie könnte man den ganzen Streit als die neueste Folge der bekannten amerikanischen Freak-Show verkaufen: Die spinnen, die Amis, das ist ja nichts Neues, da gibt es, Verrückte aller Art, christliche Fundamentalisten zum Beispiel, die an den leibhaftigen Satan glauben, andere haben i auch schon mal Elvis gesichtet oder John F. Kennedy, die sind irgendwie alle dick, dumm und bibelfest, also wen wunderts, dass die auch heute noch glauben, Eva sei aus AdamS Rippe geschnitzt worden ? Mit Caroline Crocker wird die Geschichte komplizierter. Sie ist weder dick noch dumm, sie ist promovierte Biologin, hat pharmakologische Bücher geschrieben und an ausgezeichneten Hochschulen gelehrt. Man kann sie nicht einfach als verrückt abtun, man muss sie ernst nehmen, man muss ihr zuhören, man muss sich mit ihr auseinandersetzen. Das ist unangenehm anstrengend und verwirrend. "Frau Professor Crocker,..." , "Sie können mich ruhig Caroline nennen", sagt sie. "Caroline, Sie. .." -Moment, so viel Vertrautheit ist mir unangenehm, zumal irn Gespräch mit einer Frau, die am Ende vielleicht doch verrückt ist, also ein dritter Anlauf: "Frau Crocker, Sie glauben nicht an Darwins Evolutionstheorie. Können Sie mir erklären, warum nicht?" "Wieso glauben?", fragt sie ohne Zögern zurück, "das ist doch keine Glaubensfrage. Mich interessiert nur der wissenschaftliche Teil dieser Debatte." Also anders: "Äh, ja, also warum bestreiten Sie die Evolutionstheorie?"' “Ich bestreife gar nichts”" lautet dieSmal die Antwort" ,"ich" stelle doch nur Fragen und weiseauf bestimmte Probleme hin. "Aber es gibt” sage ich, keine Probleme mit der Evolutionstheorie. Die ist längst bewiesen und wird von allen maßgeblichen Wissenschaftlern akzeptiert.' “Verstehen Sie was davon?” “Nein.” Es ist ein unerfreuliches Gespräch. Hat Caroline Crocker wirklich etwas in der Hand? Gibt es tatsächlich Zweifel an der Evolutionstheorie oder blufft sie nur? Aber warum sollte sie das tun? Immerhin: Für das" was sie will" hat ,sie gerade ihre wissenschaftliche Karriere ruiniert. "Mikroevolution”" sagt Caroline Crocker schließlich. "Mikroevolution ?” “Ja" das ist ein klarer Fall: Bakterien" die wir mit Penicillin bearbeiten" die Restpopulation, die das überlebt, die Resistenz" die gegen Penicillin entwickelt wird. So funktioniert Mikroevolution" das bezweifelt kein Mensch.'" Makroevolution "dagegen sei nur die spekulative Hochrechnung einer unter völlig anderen Bedingungen gewonnenen Erkenntis: “Es gibt keinen Beweis dafür" dass der Mensch sich aus Tieren entwickelt hat. Vermutungen werden den Studenten als Beweise verkauft" die experimentellen Lücken werden mit dogmatischer Phantasie geschlossen."' Das spektakulärste Wort an dieser Einlassung ist das Wort “dogmatisch”. Jetzt hat Caroline Crocker also den Spieß umgedreht. Nicht sie ist die Dogmatikerin" sondern die, , die Darwins Evolutionstheorie für bewiesen halten. Nicht wer an die biblische Schöpfungsgeschichte glaubt" setzt Ideologie über Erkenntnis" sondern der" der Darwin verteidigt. Was soll man davon halten? Kann man das überhaupt ernst nehmen? Fragt man die Amerikaner" bekommt man eine recht eindeutige Antwort. 53 Prozent stimmten in der letzten Gallup-Umfrage dem Satz zu" dass ";Gott den Menschen genau so geschaffen hat" wie es in der Bibel beschrieben wird”. In den letzten zehn Jahren ist diese Zahl um rund zehn Prozent gestiegen. Ausgerechnet in dem Land, das die meisten Nobelpreisträger in den Naturwissenschaften hervorbringt" hat der kindliche Glaube an die blumigen Details der Schöpfungsgeschichte' eine Basis wie nirgends sonst auf der Welt. Dabei gehört Caroline Crocker gar nicht zu den so genannten Kreationisten, die jede Ausschmückung der biblischen Genesis hartnäckig verteidigen. Sie und ihre Freunde vom “Discovery-Institute'" in Washington kämpfen um "Intelligent Design”" also um die Vorstellung, dass der Mensch kein Zufallsprodukt der' Natur" sondern das Werk eines Schöpfers sein muss. Ob er sechs Tage gebraucht hat, ist ihnen egal. Aber dass es ihn gab und nicht nur die Laune der Moleküle" das steht nicht in Frage: Anders gesagt: Die Freunde des “Intelligent Design”, haben gleichsam die Frontlinie" die nicht mehr zu halten war, zurückgeno~men" dieKräfte gebündelt und jetzt eine neue Festung bezogen" die um jeden Preis verteidigt werden soll. Siclher, das ist ein recht martialisches -Sprachbild für eine theologische Debatte. Doch die Protagonisten dieser Debatte selbst sehen in dem Kampf als eine Art Entscheidungsschlacht um Werte und Weltbilder. ;;Die dominierende Ideologie unserer Zeit sagt" dass es nichts anderes gibt, als "natürliche Kräfte und Prozesse, und damit soll jede übernatürliche Kraft ausgeschlossen werden”:,," sagt 'C;ilroline Crocker. Im Kern gehe es denen" die die Evolutionstheorie verteidigen" nur darum, Gott aus dem Bewusstsein der modernen Welt zu verdrängen. Das ist zwar eine seltsame Wahrnehmung in einem Land, in dem Religion wie in keiner anderen westlichen Industrienation präsent und gesellschaftlich akzeptiert ist. Doch es ist die Wahrnehmung vieler Amerikaner: “Glauben Sie" dass religiöse Menschen in \ den USA diskriminiert wer den?"' fragten Meinungsforscher erst vor wenigen Tagen. 48'Prozent sa;gten)il~ Noch vor zwei Jahren hatten nur 36 Prozent -das Gefühl, , religiöse Menschen" würden gesellschaftlich geächtet. Die Evolutionsdebatte als Kulturkampf? Bushs Amerika sieht sich in der Defensive, glaubt sich verfolgt und falsch verstanden? Vielleicht ist das die beste Erklärung für die Irrungen und Wirrungen dieses kuriosen Streits" der längst überall im Land die Gerichte beschäftigt" ,weil die Evolutionsgegner versuchen, die Lehrpläne für die Schulen neu zu schreiben und “Intelligent Design": als Alter" native zu Darwin durchzusetzen. ,"In meiner mehrmonatigen Recherche bin ich immer , mehr zu dem Schluss gekommen, dass die Verteidiger und Kritiker Darwins über verschiedene Dinge reden'", sagt der Essayist Shankar Vedantam" ",die einen reden Überwissenschaftliche Fakten" die anderen über Emotionen.” Auch Alan Leshner, Präsident des wissensChaftsverbandes AAAS" kann keine wissenschaftliche Kontroverse in diesem Streit entdecken: ,"Es soll der Eindruck erweckt werden, dass es hier Meinungsverschiedenheiten unter Wissenschaftlern gibt" aber in Wirklichkeit ist die Evolutionstheorie heute so sicher etabliert wie die Gesetze der Schwerkraft."' Leshner sagt von sich selbst, dass er an Gott glaubt und an einen Schöpfer. Warum das mit der Evolutionstheorie kollidieren sollte, will ihm nicht einleuchten. Caroline Crockers frühere Studenten dagegen sehen das anders und sind ihrer gefeuerten Professorin immer' noch dankbar:
“Sie hat endlich ausgesprochen" was sich andere nicht zu sagen trauen" was ich aber auch immer schon gedacht habe”" sagt Mariama Lowe" “Menschen haben eine Seele" man kann sie nicht mit Tieren auf eine Stufe stellen. An die Evolution zu glauben" Würde heißen" dass der Tod das letzte Wort ist.”

aus der WAZ, 13.5.06
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